Trauern und glücklich sein

Gestern Nachmittag habe ich einkauft. Unterwegs habe ich eine Bekannte getroffen, die ich etwa sechs Wochen nicht gesehen habe. Wir begrüßten uns und erfreut darüber, dass wir uns nach langer Zeit wieder getroffen haben, gingen wir in ein Kaffee, um zusammen etwas zu trinken und kurz miteinander zu plaudern. Wir waren einmal zusammen in einer Gruppe bei der Wassergymnastik und weil zu der Gruppe viele neue Teilnehmer kommen sollten, wurde die Gruppe geteilt und wir kamen in zwei verschiedene neu gebildete Gruppen. So trafen wir uns dort nicht mehr. Ab und zu kreuzten sich unsere Wege in der Stadt und wir nutzen das, um uns zusammenzusetzten und neue Erfahrungen aus den neuen Gruppen auszutauschen. So war es auch diesmal.
Wir saßen am Tisch, nippten am heißem Kaffee und genossen die Zweisamkeit, bis meine Bekannte zu mir sagte:
„Hör mal, du siehst aber so glücklich und zufrieden aus. Trauerst du nicht mehr um deinen Mann?“
Ich war perplex. Ich blieb ohne Luft, so als ob ich einen Tritt in Magengrube bekommen hatte.
Wie ein Fisch auf dem Trockenen machte ich meinen Mund auf und zu, ohne überhaupt ein Wort zustande zu bringen.
Sie bemerkte meine Betroffenheit.
„Aber ja, du hast ihn lange Zeit pflegen müssen, bestimmt ist sein Tod für dich eine Entlastung, die dich jetzt so erleichtert und zufrieden macht.“
Ich glaube, sie dachte sich dabei nichts Böses. Sie wollte die Kraft ihrer Worte, die sie auf mich ausübten, etwas mildern aber sie tat genau das Gegenteil davon. Das verschlechtert noch alles.

Auf einmal fühlte ich mich schuldig wegen meiner Freude und meines Glücks. Ja mein Mann ist vor vier Monaten gestorben. Ja, ich habe ihn lange gepflegt und das war anstrengend aber ich freute mich nicht darüber, dass er starb. Ich freute mich für ihn, dass er endlich die Erleichterung von seinen Qualen gefunden hatte und doch, ich trauere um ihn. Was mich jetzt so glücklich gemacht hat, das war der Besuch von meinem Sohn und meiner Enkelin, die aus Dubai gekommen sind und die ich lange Zeit nicht gesehen habe.

Ich glaube, dass mein Gesicht vor Glück förmlich strahlte, denn ich war aufrichtig und aus ganzem Herzen glücklich. Durfte ich das nicht sein? Muss ich mich für mein Glück rechtfertigen? Ja, ich tat es. Ich erklärte meiner Bekannten warum ich so glücklich bin. Dabei merkte ich, wie ich selbst konditioniert bin. Mir wurde klar wie unsere Gesellschaft eigentlich konditioniert ist: Stirbt dir jemand, so musst du ein trauriges Gesicht zeigen. Man muss sich niedergeschlagen und traurig fühlen oder mindestens nach außen so zeigen. Glücklich darf man nicht sein in so einem Fall und wenn das so ist, muss man das rechtfertigen. Eigentlich bezieht sich das nicht nur auf Trauerfälle. Allgemein ist es genau dasselbe. Ist man glücklich, fällt das sofort auf und man wird gefragt: „Was ist mit dir los?“ Als ob man sich durch Glück schuldig macht. In dieser Welt, in der es so viel Unglück und Elend gibt, ist es fast nicht moralisch glücklich zu sein, obwohl das Glück und die Freude das einzig richtige in diesem Leben sind.
Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, ob wir uns das Glück erlauben oder wir auch (so wie ich in diesem Fall) konditioniert sind von der Seite der Gesellschaft, um uns unseres Glücks schuldig zu fühlen.
Wie ist es bei Ihnen? Was denken Sie darüber?

 

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